Was ist FOP

Zusammenfassung       

Fibrodysplasia Ossificans Progressiva (FOP) ist eine sehr seltene genetische Erkrankung, bei der Muskeln, Binde- und Stützgewebe fortschreitend verknöchern können. Erkrankte sind häufig mit starken Bewegungseinschränkungen belastet. Neue Verknöcherungsschübe können spontan oder ausgelöst durch Verletzungen von Gewebe auftreten und kündigen sich meistens durch schmerzhafte Schwellungen an.  

FOP wird nicht selten zunächst falsch diagnostiziert, kann aber zuverlässig über eine genetische Untersuchung festgestellt werden. Ein klassisches Indiz für FOP ist das Vorliegen verkrümmter und verkürzter Großzehen ab der Geburt.  

Zugelassene Therapien existieren noch nicht, aber im Gegensatz zu vielen anderen seltenen Erkrankungen befinden sich Stand September 2019 drei (weltweit) und voraussichtlich bald ein weiteres (Europa) Medikamente in klinischen Untersuchungen zur Überprüfung der Wirksamkeit und Verträglichkeit. Verlaufen diese Studien positiv, können diese Medikamente zur Verhinderung der genannten Knochenbildung eingesetzt werden. 

Klassifikation nach ICD-10: M 61.1 

Andere Bezeichnungen 

Myositis ossificans progressiva
Fibrodysplasia ossificans multiplex progressiva
Myositis ossificans generalisata – Münchmeyer-Syndrom 

Häufigkeit

Von etwa 2 Mio. Personen erkrankt eine Person an FOP.  Weltweit sind ungefähr 700 Erkrankte bekannt; statistisch müssten aber weit mehr existieren. FOP tritt unabhängig von Geschlecht, Rasse, ethnischem Hintergrund oder geografischer Lokalisation auf.  

Früherkennung 

Abb. 1 FOP-typische Fehlbildung der großen Zehen. 

Ein typisches Indiz für FOP ist das Vorliegen von Fehlbildungen der Großzehen. Ein genetischer Test kann zuverlässig Aufklärung leisten, auch bereits vor Auftreten der entzündlichen Schwellungen. Bei Kindern FOP-kranker Eltern besteht bereits in der Schwangerschaft mittels Gentest die Möglichkeit zur pränatalen Diagnostik. 

Krankheitsursache 

Die Ursache von FOP ist eine einzelne Punkt-Mutation im Gen des ACVR1-Rezeptors (auch ALK2 genannt). Der ACVR1-Rezeptor gehört zur BMP-Rezeptorfamilie. Durch die Mutation kommt es zu einer Überaktivierung des Rezeptors, welche zu heterotopen Knochenneubildung in Weichteilgeweben (z.B. Muskeln, Sehnen) führen kann. Diese Knochenneubildungen können sowohl in Schüben (meist im Kindes- und Jugendalter) als auch schleichend (bei Erwachsenen) erfolgen.

Der ACVR1-Rezeptor befindet sich auf dem langen Arm des Chromosoms 2 zwischen der Position 23 und 24. Dieser Rezeptor findet sich auf vielen Körperzellen, vor allem im quergestreiften Skelettmuskel. Er wird für die normale Skelettentwicklung, Wachstum und Reparaturvorgänge am Binde- und Stützgewebe benötigt. Da FOP durch eine einzige Punkt-Mutation an diesem Rezeptor ausgelöst ist, konzentrieren sich die meisten aller Forschungsansätze für Medikamente auf die molekularen Prozesse um ACVR1. 

FOP wird autosomal-dominant vererbt. 

Symptome

Abb. 2 links: FOP-Schub am Rücken, der Rücken ist stark geschwollen und gerötet rechts: zurückbleibende FOP-Verknöcherungen am Rücken

Bereits bei Geburt besteht bei mehr als 95% der Erkrankten eine auffallende Verkrümmung (Hallux valgus) und/oder Verkürzung der Großzehen. Bei etwa 50% liegt ebenfalls eine Verkürzung beider Daumen vor. Die überwiegende Mehrheit aller FOP-Erkrankten haben Fehlbildungen der Halswirbelkörper. Meist fällt schon in den ersten Lebensjahren eine eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule auf. In folgenden Jahren treten unregelmäßig weitere entzündliche Schwellungen auf, die zu Verknöcherungen werden können. Diese können alle Körperteile betreffen, insbesondere aber Gelenke im Kopf-, Nacken-, Kiefer-, Arm- und Kniebereich. Etwa 50% aller FOP-Erkrankte haben Hörprobleme.

Vor allem Verletzungen der Muskulatur, Stürze, Injektionen in den Muskeln und Operationen können Auslöser dieser entzündlichen Schwellungen sein, die oft anfangs als harmlose Beulen verkannt werden. Man vermutet, dass die fortschreitende Einsteifung und Verknöcherung Regelmäßigkeiten folgen kann: Vom Kopf zu den Füßen, vom Rumpf aus finger- bzw. zehenwärts und vom Rücken aus nach vorne auf Brust und Bauch übergreifend. Bei mehr als 90 % der Erkrankten findet man gutartige knöcherne Wucherungen (kartilaginäre Exostosen) an der Innenseite des Schienbeinkopfes.

Krankheitsverlauf 

Abb. 3 Röntgenbild der Hüfte. Der heteroptope Knochen ist deutlich sichtbar und verschließt das Hüftgelenk, eine Bewegung ist nicht mehr möglich.

Der Prozess der fortschreitenden Einsteifung und Verknöcherung beginnt meist bereits in den ersten Lebensjahren. Neben der Versteifung der Halswirbelsäule kommt es häufig frühzeitig schon zu einer erheblichen Einsteifung der Schultergelenke und des gesamten Schultergürtels, sodass dieser am weiteren Wachstum gehindert wird. Der Befall der Wirbelsäule führt meist zu einer Verkrümmung der Brustwirbelsäule nach vorne (Kyphose) und der Lendenwirbelsäule nach hinten (Lordose). Erfolgt die zunehmende Verknöcherung des Rückens asymmetrisch oder kommt es zu einer einseitig fixierten Hüftbeugung, so können starke Verbiegungen des Rumpfes zur Seite (Skoliose) resultieren.

Die Krankheit kann in Schüben, aber auch ohne Schübe mit unterschiedlichem Tempo kontinuierlich fortschreiten. Die stärkste Krankheitsaktivität wird während des großen Wachstumsschubes vor und in der Pubertät registriert. Am Ende der Pubertät sind häufig alle rumpfnahen großen Gelenke eingesteift, sodass sich die Betroffenen nur noch eingeschränkt fortbewegen können und meist auf fremde Hilfe angewiesen sind. Wegen der eingeschränkten Beweglichkeit des Brustkorbes und der damit verbundenen, verminderten Belüftung der Lungen können Lungenentzündungen eine lebensbedrohliche Gefährdung darstellen. Eine weitere Gefahr sind banale Stürze. Da keine Abwehr oder Abfangbewegungen möglich sind, können tödliche Schädel-/Hirnverletzungen die Folge sein.

Therapie und Forschung

Es existiert weltweit bisher noch kein zugelassenes Medikament zur Heilung von FOP. Allerdings befinden sich derzeit (Stand September 2019) mehrere vielversprechende Ansätze in klinischer Untersuchung, darunter das Medikament Palovarotene (Firma Clementia – gehörend zu Ipsen company) in abschließender Phase III und das Medikament REGN2477 (Firma Regeneron) in Phase II. Auch europäische Standorte führen Studien durch, wodurch Patienten mit FOP Zugang zu diesen Medikamenten erhalten können. Beide Ansätze zielen auf die Eindämmung der Signaltransduktionswege um den ACVR1-Rezeptor ab. Weitere Informationen finden Sie in unter Klinische Studien.

Ohne gezielte Medikamente werden bei auftretenden Schüben in vielen Fällen entzündungshemmende Medikamente, wie nichtsteroidale Antirheumatika und Corticoide verschrieben. Daneben gibt es Einzelbeobachtungen über positive Wirkungen von Pamidronat und Biphosphonat in hoher Dosierung. Da bei der Untersuchung von frühen Läsionen vermehrt Mastzellen gefunden werden, kommen auch Mastzellenstabilisatoren und Leukotrien-Antagonisten vereinzelt zum Einsatz. Die Wirksamkeit aller dieser Ansätze ist klinisch aber nicht ausreichend erwiesen.

Vorbeugende Maßnahmen

Verletzungen können heftige Krankheitsschübe auslösen. Operationen sollten daher dringlichst vermieden und nur in absoluten Ausnahmefällen, in denen eine lebensbedrohliche Gefährung des Patienten mit FOP vorliegt, zum Einsatz kommen. Es dürfen keine intramuskulären Injektionen sondern nur außermuskuläre Injektionen (z.B. Impfungen) vorgenommen werden. Alles was Muskel- und anderes Weichgewebe schädigen kann, sollte vermieden werden. Dazu gehören stumpfe Prellungen, Überdehnen der Muskulatur und Überbeanspruchung der Muskeln mit folgendem Muskelkater und starke Erschütterungen (z.B. Achterbahn fahren).

Bei zahnärztlichen Eingriffen am Unterkiefer muss auf eine Nervenblockade des Nervus alveolaris inferior unbedingt verzichtet werden, da es in solchen Fällen zu einer dauerhaften Kiefersperre kommen kann. Der Mund kann dann nicht mehr geöffnet werden! Bei frischen Verletzungen oder Schüben kann eine Kortisonprophylaxe entsprechend den Therapierichtlinien der IFOPA erfolgen.

Moderate Bewegungen sind empfehlenswert; an Mäusen wurden positive Wirkungen von Bewegung gezeigt, die Übertragbarkeit auf den Menschen ist damit aber nicht erwiesen. Es sollte immer im Einzelfall entschieden werden, ob und in welchem Umfang Patienten an allgemeinen, normalen und moderaten Bewegungen (z.B. Schwimmen) teilnehmen sollten.

Wir empfehlen unbedingt, bei medizinischen Fragestellungen mit Ärzten, die vorher keine Patienten mit FOP betreuen konnten, einen Arzt mit FOP-Erfahrung hinzuzuziehen. Fehlbehandlungen können weitere dauerhafte Verknöcherungen auslösen.

Eine medizinische Kurzzusammenfassung für fachfremdes medizinisches Personal finden Sie auf unserer Website unter Informationen für Ärzte.

Weiterführende Informationen

Auf Englisch, zum kleineren Teil auch auf Deutsch, gibt es die ausführlichsten Informationen zu dieser Erkrankung bei der Internationalen FOP-Vereinigung IFOPA; diese betreibt die Homepage:  www.ifopa.org